Autor: Prof. Dr. Udo Reifner, Gründe der iff
Der Name – ein Irrtum
CAWIN ist das Schuldenberatungsprogramm des iff. Der Name ist ein Irrtum. Die erste Version hieß CADAS. Wie 1983 üblich sollte es ein Computer Assisted Debt Advice – Programm sein. Es folgte dabei den Spuren des iff-Kreditberatungsprogramms CALS (Computer Asssisted Legal Services) zur Unterstützung von Wucherklagen, verlor aber bei der Umstellung auf Windows seinen Sinn. Aus CADAS wurde CADAS für Windows. In der aufkommenden Schuldnerberatungsszene machte einer ihrer Pioniere, Ulf Groth („Norder Modell“), es unter dem Namen CAWIN [gesprochen Kevin] bekannt. Der gleichnamige Erfolgsfilm half der Publizität. Zurückübersetzt ergab sich allerdings die absurde Bezeichnung : Computer Assisted Windows.
Wie begann es?
Doch wie begann es eigentlich? Forschungen am Wissenschaftszentrum Berlin über Rechtsprobleme sozial Schwacher zwischen 1976 und 1979[1] hatten mittels einer mühsamen Datenauswertung mit Lochkarten ergeben, dass die Armen ihre Rechte nicht ausreichend wahrnehmen. Für sie sei eine besondere Rechtsberatung nach dem Modell notwendig, wie es die Gewerkschaften Ende des 19ten Jahrhunderts schon einmal angeboten hatten.[2]
Es zeigt sich, dass hier eine durchgehende Evaluierung sinnvoll sei, um eben das im Blick zu behalten und zu belegen. Das Folgeprojekt an der Verbraucherzentrale Hamburg löste dies ein.[3] Jede Beratung sollte darin als doppelter Informationsprozess begriffen werden: Die Verbraucherin informiert die Beraterin, welche gesellschaftlichen Probleme aus welchen Gründen und mit welcher Urheberschaft dominieren. Diese Daten fallen gesichert an, wo die Beraterin hilft, die Einzelprobleme aufarbeitet und Lösungen mit Hilfe von Recht und öffentlichem Druck auf dem Markt und in der Politik durchzusetzen.
Ratenkredite und insb. Wucher als Schwerpunkt
Als besonderer Schwerpunkt erwies sich dabei die Überschuldung durch wucherische Kredite.[4] Hierzu wurde das Programm CALS (auf einem Tandy 4 K Computer mit Kassettenrekorder [liebevoll „Anneliese“] genannt) entwickelt, das die Rechtsprechung des Bundesgerichthofs zum Wucher[5] auf über 100.000 berechnete Ratenkredite anwandte.[6]
Ein Nebenschauplatz der Aktionsforschung gegen sittenwidrige Ratenkredite war der Aufbau der Schuldnerberatung. Sie erwies sich von Beginn an als Konkurrenz zur Rechtsberatung. Schuld an der Überschuldung sollten nach Auffassung der Kreditgeber die unkontrollierte Ausgabefreudigkeit der Schuldner sein. Ab 1979 nahmen die Gerichte dagegen eine Mitschuld der Banken an. Um die Rechtsberatung davor zu schützen, durch Fürsorge und erzieherische Maßnahmen der Sozialberatung abgelöst zu werden, wurde im Rahmen des Projektes eine aufgeklärte Schuldnerberatung mit stark rechtlichem Anteil erprobt.[7]
Entwicklung in der Praxis
Ergebnis war die Finanzberatungsstelle Wilhelmsburg der VZ Hamburg. Mit deutsch-türkischer Beratung sollte schon im Namen die Diskriminierung der Kreditnutzer durch die Bezeichnungen „Schuld, Schulden, Schuldner“ vermieden werden. In der Mitte des Beratungsraums stand ein großer runder Tisch, an den Wänden saßen die Wartenden und eine juristische Expertin. Die Beratung konnte auch auf Wunsch in einen anderen Raum verlegt werden, was selten gewünscht wurde. Es entstand eine Normalität, die das Selbstbewusstsein stärkte, Vertrauen durch Transparenz aufbaute und die Beratungsqualität erhöhte.
In diesem Zusammenhang wurde auch das Programm CALS eingesetzt. Das kleine Programm hatte sich bei der Datenauswertung bewährt. Schon die ersten 150 Fälle zeigten an, welche Kredite welcher Anbieter in welchen Situationen die Überschuldung bestimmten und zudem rechtswidrig waren, weil sie das Doppelte vom Üblichen forderten.
Ähnliche Effekte sollten auch für die Schuldnerberatung erzielt werden. Entsprechend programmierten über ABM eingestellte Laien den neu angeschafften C-64 Computer („Nathan“) mit Diskette für die Erfassung der Klienten, Schulden, Adressen, Gläubigern und machten zugleich Erklärungstexte verfügbar. Ziel war es, möglichst viele Fälle erfasst zu haben, die kollektive Struktur, Ursachen und Wirkungen der Überschuldung aufklären und für die Gesetzgebung einsetzbar wurden.
CAWIN – Beitrag zur Versachlichung
Der wohl größte Erfolg dieses Programms war es, dass die Schuldzuweisung an die Überschuldeten relativiert und die Nützlichkeit der Arbeit der Schuldnerberatung deutlich gemacht werden konnte. Pressekonferenzen zur Überschuldung hatte es bis dahin kaum gegeben.
Um Fachkräfte aus der Sozialberatung dazu zu bekommen, aus ihren Fällen immer mehr Daten einzugeben, musste der Nutzen für die Schuldnerberatung erhöht werden. CADAS und vor allem CAWIN entwickelten sich auch zur Bürosoftware, die die Arbeit rationalisierte, den Trägern eine Evaluation erlaubte und Öffentlichkeitsarbeit ermöglichte.
Gleichwohl war der Zuspruch zu dieser statistischen Nutzung keineswegs ermutigend. Die Finanzberatungsstelle sollte als Schuldnerberatung ins Sozialamt integriert werden, was ihr Ende bedeutete. Die Datensammlung fiel dem Datenschutz zum Opfer, die Zusammenführung von Daten aus mehreren Anwendungen war nicht zulässig.
Doch die Sozial- und Rechtsberatung wurde ohnehin computerisiert. Die vielen kleinen Berechnungen und vor allem die Einführung der Verbraucherinsolvenzverfahren mit Plänen, Anträgen und Fristen erforderten EDV-Einsatz, die davor schon angeboten aber nicht genutzt wurden.
CAWIN wird zur Bürosoftware und legt die Grundlage für den iff-Überschuldungsreport
CAWIN konnte als Bürosoftware mithalten. 35 Programme wurden in Deutschland installiert, Fördergelder aus der EU und schließlich vom DSGV mobilisiert. Es verlor dabei zunächst seinen kollektiven Ansatz, verbesserte aber dessen Grundlage in der Datengewinnung und Qualität. Es waren dann die Genossenschaftsbanken mit ihren Stiftung Deutschland im Plus, die den separaten Ausbau der kollektiven Auswertung in den jährlichen iff-Schuldenreports ermöglichten. An der Datenauswertung beteiligt sich inzwischen sogar das Statistische Bundesamt. Soweit bekannt, ist CAWIN damit ein weltweit einmaliges Beratungskonzept.
Diese Funktionen, die auch lokal genutzt werden, haben inzwischen auch international an Bedeutung gewonnen, so dass das ursprüngliche Ziel von CADAS und CALS, professionell erhobene Daten der Auswertung zur Verfügung zu stellen, sich durchgesetzt hat.
Bedauerlicherweise konnte dies System für die Evaluation der Kreditangeboten der Banken durch iff-FinanzCheck nicht weiterentwickelt werden. Ein von unabhängiger Stelle betriebenes System der Kreditberatung wäre die ideale Ergänzung zu einer Schuldnerberatung, die die Evaluation der Rolle der Angebote in der Überschuldung wieder im Tandem mit den Verbraucherverbänden mitgestaltet.
[1] Siehe Blankenburg/Reifner Rechtsberatung – Rechtsprobleme durch soziale Definition, Neuwied 1981)
[2] Reifner Gewerkschaftlicher Rechtsgebrauch ‑ Die Geschichte des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes und der Rechtsberatung der Deutschen Arbeitsfront von 1894 bis 1945; Wissenschaftszentrum Berlin 1979 (IIM‑dp 79‑103))
[3] Reifner/Volkmer, Neue Formen der Verbraucherrechtsberatung, Ffm 1988
[4] Reifner, Verbraucherverschuldung, Neuwied 1979
[5] BGH, Urt. v.12. 3. 1981 — III ZR 92/79
[6] Dieses Programm wurde dann in DBase zu BAUFUE (Baufinanzierung) und FOAB (Forderungsabrechnung) weiterentwickelt, die im Windowsprogramm iff-FinanzCheck 2.0 zusammengefasst vergeblich auf Geldgeber und Entwickler warten.
[7] Reifner, Wer hat Schuld? – Schuldenberatung zwischen Inkasso und Gegenwehr, in: Matthias Arkenstette u.a. (Hrsg.), Wie werd‘ ich meine Schulden los? – Überschuldung – und was dagegen getan werden kann, VSA-Verlag Hamburg, 1987, 136 ff.